Hintergrundinformationen zu Psalm 150 in Auszügen ²
Aus jüdischer Perspektive
Der Jerusalemer Talmud berichtet (Bikkurim 3:2), Psalm 150 sei auch am Ende einer festlichen Prozession, die die ersten Früchte als Opfer in den Tempel nach Jerusalem bringen sollte, gesungen worden. Neben dem schon oben erwähnten (noch heute üblichen) täglichen Beten des Psalms 150 im Morgengottesdienst, wird dieser am jüdischen Neujahrsfest (Rosch Haschana) ein zweites Mal im Kontext des Schofarblasens zitiert, wohl wegen der Erwähnung des Schofars (in der hier verwendeten Übersetzung »Posaune«, s. o.).
Interessant für die Rabbiner ist die Zahl der Variationen an sich, also der zehnfache Lobpreis Zeile 1–10. Die Zahl 10 steht in der rabbinischen Tradition für das Vollkommene, abgeleitet aus dem Buchstaben »Jud«, dessen Zahlenwert zehn ist, der an Jehuda bzw. die »Jehudim« also die Juden erinnern könnte: das Gebetsquorum für den öffentlichen jüdischen Gottesdienst, die 10 Gebote oder – weniger bekannt – die 10 Ansagen Gottes für die Schöpfung. Der Babylonische Talmud bezieht in die Reihe der vollständigen Zehnerreihen ausdrücklich die Lobpreisungen im Psalm 150 ein.
Vor christlichem Hintergrund
»Gott loben, das ist unser Amt« dichtet David Denecke in der 5. Strophe seines Kirchenliedes »Nun jauchzt dem Herren alle Welt« (EG 288). Das gilt nicht nur für Kantorinnen und Kirchenmusiker, Pfarrerinnen und Rabbiner. Die ganze Bibel zielt im Letzten auf das Lob Gottes, zu dem der Glaube durch alle Anfechtung, Zweifel, Resignation und Verzweiflung hindurch schließlich führen soll.
Der 150. Psalm bietet als Schlussrahmen des biblischen Psalmenbuches »eine kleine Theologie des Psalters«³ : Die Psalmen preisen Gott als universalen Weltenkönig, freuen sich über Gottes Nähe, selbst im Leiden, und über die Welt als seine Schöpfung (Vers 1). Sie preisen seine rettenden Taten und üben in den endzeitlichen Lobgesang ein, wenn Gott in seiner großen Herrlichkeit offenbar wird (Vers 2). Im Lob Gottes erfährt sich jeder Atem (jeder Mensch, jede Kreatur) als Geschöpf Gottes (Vers 6). Hierin schließt sich inhaltlich der Bogen zu Psalm 1, wird das Glück, der Weg der Gerechtigkeit, vollendet.
In der Offenbarung des Johannes vereinen sich am Ende der Zeit die irdischen mit den himmlischen Chören zum Lobpreis Gottes: »Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles was darin ist, hörte ich sagen: ›Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit.‹«(Off 5,13). Abgesehen von der christologischen Erweiterung (das Lamm Gottes) ist die Beschreibung der Lobenden eine Ausformung von »alles, was Odem hat«. Ich verstehe die Beschreibung so, dass nicht nur Menschen, sondern alle Geschöpfe Gottes ihn preisen können.
Der 150. Psalm ist in der Musik oft vertont worden und z. B. von Anton Bruckner und von Igor Stravinski im dritten Satz sei¬ner Psalmensymphonie zur Grundlage einer Komposition gewor¬den.
Persönlich gesehen
Sehe ich die Fotografien von den großen Massenveranstaltungen in der NS-Zeit, wo Hunderte, ja Tausende auf Kommando ihre Hand zum Führergruß emporstreckten oder wie aus einer Kehle »Heil« riefen, habe ich immer das Kontrastbild dazu vor meinen Augen: die überfüllte Schtetl-Synagoge eines charismatischen chassidischen Rabbiners, wo im wilden Neben- und Durcheinander der einzelnen betenden Individuen selbst ein Amen nicht zu einem Unisono wird, sondern jeder seine Stimme behält. Dann fällt mir Psalm 150 ein, wo jede (musikalische) Stimme ihr eigenes Halleluja formuliert und gerade einmal im Schlusswort alles zusammenfindet. Psalm 150 ist ein Abbild und Vorbild für die Individualität jeder einzelnen Stimme und jedes einzelnen Beters, ohne dass sie in eine chaotische Anarchie auseinanderfallen, denn schließlich kommt doch »alles was Odem« hat zusammen und lobpreist IHN mit dem Halleluja. Louis Lewandowski hat dies in seiner Komposition für den synagogalen Gebrauch des Psalm 150 wunderbar vertont.
Jede und jeder kann Gott so auf ihre oder seine Art preisen, mit dem, was Gott uns an Worten, Liedern, Begabungen und Charis¬men geschenkt hat. Das ist das Ziel jedes Gebetes: dass unsere Erfahrungen, die großen und die kleinen, die traurigen und die schönen, zuletzt zusammenfließen im Lobpreis unseres Lebens.