Das große Halleluja

Das große Halleluja

Psalm 150 als musikalisches Erlebnisprojekt

Von Marion Gardei und Andreas Nachama

Durch eine musikalische Inszenierung wird der Lobpsalm des Tempels in seiner ursprünglichen Gottesdienstpraxis erschlossen und erklingt neu als Danklied der Gemeinde.

Variante 1

für eine musikalisch rhythmische Annäherung an den Text mit Kitagruppen oder einem Erwachsenen-Chor

Halleluja Titelseite des Buches Du bist mein Gott
Buchcover „Andreas Nachama und Marion Gardei: Du bist mein Gott, den ich suche. Psalmen lesen im jüdisch-christlichen Dialog“, © Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München 2012.

Verlauf

Ausgangspunkt ist eine Analyse oder Schilderung eines Gottesdienstes und der dort partizipierenden Gruppen in biblischer Zeit oder in der Gegenwart.

Der Psalm 150 bildete im Tempel den Abschluss des Morgengottesdienstes. Stellen wir uns den großen Tempel in Jerusalem vor 2000 Jahren vor: Die heilige Awoda, der Opfergottesdienst, am Morgen, neigt sich dem Ende zu. Musikalisch und gesanglich vereinigen sich die Kohanim (Priester), die levitischen Solisten und der Levitenchor, die Assafsiten, die levitischen Instrumentalisten, mit Pauken und Trompeten, die korachitischen Solisten und der Korachitenchor am Eingang des Tempels sowie alle Pilger und Jerusalemer, die noch im Tempel zugegen sind – »in des Heiligtums Hallen« – oder im direkten Umfeld des Tempels – »unter des Himmels mächt’gem Gezelt« – stehen.

Im Zweiten Tempel hatte der Gottesdienst also – wie heute auch – verschiedene Akteure:

  • Die Priester (Kohanim) waren diejenigen, die den Opfergottesdienst leiteten, die Opfer entgegennahmen und auf ihre Tauglichkeit untersuchten.
  • Die Leviten waren ihre Assistenten, die die Opfertiere auf den Altar legten, aber auch als Sänger im Chor oder als Solisten die Psalmen und ggf. andere Texte anstimmten.
  • Die Assafsiten waren die den Gottesdienst umrahmenden musikalischen Instrumentalisten (Pauken, Zymbeln etc.).
  • Die Korachiten waren die Türsteher, die den Einlass regelten und darauf Acht gaben, dass nicht zu viele gleichzeitig im Tempel waren. Ggf. stimmten sie die in langen Reihen auf Einlass Wartenden mit einem Wechselgesang auf den Besuch im Tempel ein.
  • Die im Tempelhof anwesenden Pilgerinnen und Pilger als Teilnehmende (nicht als Zuschauende) des Gottesdienstes.

Ähnlich könnte man auch die Akteure eines Gottesdienstes heute analysieren:

Ordinierte, Lektorinnen und Lektoren, Organistin oder Dirigent, Mitglieder des Gemeindekirchenrats/Kirchenvorstands, Chor, Kirchwarte/Küster, Verantwortliche für den Kindergottesdienst, etc.

Jetzt könnte man für erwachsene Partizipanten eine erste Textbetrachtung von Psalm 150 machen:

Sieht man von der Hallelujazeile als Auftakt und Schluss ab, besteht der Text aus 11 Verszeilen. Diese gliedern sich in drei Sinnzusammenhänge:

Die Zeilen 1– 4 preisen Gottes Gegenwärtigkeit und Größe.
Die Zeilen 5–10 richten sich an einzelne Instrumentengruppen.
Die Zeile 11 ist der Höhepunkt der Dichtung, auf die alle anderen Verszeilen zulaufen.

Jetzt könnte der Text des Psalms gelesen, dann aufteilt und gesprochen werden und aus dem Sprechen selbst eine Melodie und ein Rhythmus entwickelt werden. Es ist aber auch möglich, eine bereits bekannte oder neu zu erarbeitende Halleluja-Melodie zu gebrauchen wie z. B.

  • EG 181ff;
  • Louis Lewandowski: 18 liturgische Psalmen für Soli, gemischten Chor und Orgel (PB 1399) Musiknoten. Bearbeitet von Andor Izsàk. Wiesbaden, Leipzig 1994. Hier auch Psalm 150 (erhältlich über die Musikgeschäfte bzw. das Internet).
  • CD: Estrongo Nachama: Es tönt von der Erde zum Himmel empor. Deutsche Keduscha mit RIAS Kammerchor (Orchester), Edition ENA (erhältlich über die Musikgeschäfte bzw. das Internet).

Schließlich geht es um das Einüben des Textes. Akteure sind dann:

  • Damals der Levitische Chor – heute die Kitagruppe oder der Chor.
  • Damals der Levitische Solist – heute die Erzieherin oder ein Kind bzw. Chorleiter/in oder Solist/in aus dem Chor.
  • Damals die Assafsiten (die biblischen Instrumentalisten) – heute Kitakinder mit ihren Instrumenten, Instrumentalist/inn/en oder der Organist/die Organistin mit den verschiedenen Möglichkeiten eines Instruments oder ein Chor.
  • Damals die Korachiten mit Fußgetrappel – heute andere Akteure im Gottesdienst (z.B. Kirchwart/Küsterin) oder im Kindergarten (z. B. Koch/Köchin). Die Korachiten standen/stehen am Eingang.
  • Damals wurde der Halleluja-Auftakt wahrscheinlich von allen, die in oder um den Tempel waren und den Aufruf hören konnten, aus voller Kehle gesungen. Heute sind auch alle Anwesenden eingeladen, laut mitzusingen. Aber kein Gegröle, sondern jede einzelne Stimme soll ihre Individualität behalten.

Damals am Ende alle im Tempel Anwesenden – heute alle im Gottesdienst Anwesenden (alle in der Gemeinde und alle Instrumentalisten mit ihren Instrumenten, der Chor: "alles, was Odem hat" – Fortissimo!)
Das Ganze entsprechend dem folgenden Arbeitsbogen mit der Tabelle.

Anzahl und Dauer der Proben hängen von der geplanten Aufführung ab, je nachdem wie anspruchsvoll bzw. in welchem Rahmen sie stattfinden soll.

Auch der Materialeinsatz ist letztlich von der Performance abhängig:

  • Ist es die Kindergartengruppe, so wird ein Orffsches Instrumentarium ausreichend sein, ggf. auch selbstgebastelte Instrumente.
  • Soll es der große Gottesdienst sein, so hängt es vom Ehrgeiz und den Möglichkeiten ab, ob klassische Instrumente in die Aufführung einbezogen werden. Soll z.B. bei einer Aufführung die ganze Gemeinde partizipieren, bietet es sich an, den Psalm 150 in der Sprache des Gottesdienstes als Handout auszugeben, ggf. auch die Texte und Einsätze der verschiedenen Gruppen – wie in einer Partitur – nach dem Muster der folgenden Tabelle aufzuschlüsseln.
Text Akteure/Regieanweisungen
Halleluja! Alle
Lobet Gott! Levitischer Chor: Kitagruppe / Chor
In seinem Heiligtum! Levitischer Solist: Erzieher(in) / Solist(in) vom Chor
Lobet ihn! Levitischer Chor: Kitagruppe / Chor
In der Fester seiner Macht! Levitischer Solist: Erzieher(in) / Solist(in) vom Chor
Lobet ihn! Levitischer Chor: Kitagruppe / Chor
Für seine Taten! Levitischer Solist: Erzieher(in) / Solist(in) vom Chor
Lobet ihn! Levitischer Chor: Kitagruppe / Chor
In seiner großen Herrlichkeit! Levitischer Solist: Erzieher(in)  / Solist(in) vom Chor
Lobet ihn! Levitischer Chor: Kitagruppe / Chor
Mit Posaunen Gesprochene Ansage des Levitischen Solisten: Erzieher(in) /Solist(in), dann die Instrumentengruppe wie die Soli beim Jazz
  Posauneninstrumentalisten oder Flöte mit einer improvisierten Melodie
Lobet ihn! Levitischer Chor: Kitagruppe / Chor
Mit Leier und Harfen Ansage des Levitischen Solisten: Erzieher(in) / Solist(in) vom Chor, dann die Instrumentengruppe
  Saitenspielinstrumentalisten wie Gitarre oder Geige mit einer improvisierten Melodie
Lobet ihn! Levitischer Chor: Kitagruppe / Chor
Mit Pauken und Fußgetrappel Ansage des Levitischen Solisten: Erzieher(in) / Solist(in), dann die Instrumentengruppe
  Pauken und dann mit rhythmischen Fußstampfen der am Eingang stehenden Korachiten – vertreten durch (mehrere) ehrenamtliche Kirchwarte – zu einer improvisierten Melodie
Lobet ihn! Levitischer Chor: Kitagruppe / Chor
Mit Saiten und Pfeifen Ansage des Levitischen Solisten: Erzieher(in) / Solist(in), dann die Instrumentengruppe
  Saitenspielinstrumentalisten wie Gitarre oder Geige und dann Tuten oder Signalhorn mit einer improvisierten Melodie
Lobet ihn! Levitischer Chor: Kitagruppe / Chor
Mit hellen Zimbeln Ansage des Levitischen Solisten: Erzieher(in) / Solist(in), dann die Instrumentengruppe
  Blechschlaginstrument mit einer improvisierten Melodie
Lobet ihn! Levitischer Chor: Kitagruppe / Chor
Mit klingenden Zimbeln Ansage des Levitischen Solisten: Erzieher(in) / Solist(in), dann die Instrumentengruppe
  Dunkel klingende Blechschlaginstrumente mit einer improvisierten Melodie
Lobet ihn! Levitischer Chor: Kitagruppe / Chor
ALLES, was Odem hat! Ansage des Levitischen Solisten: Erzieher(in) / Solist(in)
Lobet ihn! ALLE im Saal Anwesenden
Halleluja!!!! Wirklich ALLES, was Odem hat

 

Variante 2

Für eine inhaltlich ergänzende Annäherung an den Text etwa in einer Bibelarbeit

Eingerichtet wird das Projekt für eine Gruppe von Jugendlichen oder Erwachsenen, die am biblischen Text arbeiten wollen. Denkbar ist auch, dass dies zur Ergänzung von Variante 1 bei erwachsenen Partizipanten zusätzlich ausgeführt wird.

Ausgangspunkt ist eine Analyse oder Schilderung eines Gottesdienstes und der dort partizipierenden Gruppen in biblischer Zeit oder in der Gegenwart.

Dann wird der Text des Psalms 150 in verschiedenen Übersetzungen gelesen:

Zum Beispiel: Martin Luther, Moses Mendelssohn, Martin Buber, Bibel in gerechter Sprache oder Max A. Klausner.

Psalm 150

Lobet den Herrn!
Lobet den Herrn in des Heiligtums Hallen,
Unter des Himmels mächt'gem Gezelt,
Lobt ihn, der übergewaltig vor Allen
herrlich und heilig lenket die Welt!
Flötenklang, Zithersang, Pauken und Reigen,
Lasst seiner Größe Preis himmelan steigen!
Unter Posaunenschall,
Unter der Hörner Hall,
Unter der Cymbeln hellem Geschmetter
Preiset den Höchsten, den Gott aller Götter!
Psalter, ertönet nahe und fern,
Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!
Lobet den Herrn!¹

Diskussionsfragen

  • Wann vollzieht sich das Gotteslob in unserem Gottesdienst?
  • Wofür kann ich Gott loben?
  • Wann habe ich zum letzten Mal Gott aus vollem Herzen gelobt, in welchen Situationen sage ich „Gott sei Dank“?
  • Wie ist das Verhältnis von Klage und Lob in meinem Leben?
  • Warum ist es eigentlich wichtig, Gott zu loben?
  • Hat das Gotteslob Auswirkungen auf mein Verhalten?

 

Hintergrundinformationen zu Psalm 150 in Auszügen ²

Aus jüdischer Perspektive

Der Jerusalemer Talmud berichtet (Bikkurim 3:2), Psalm 150 sei auch am Ende einer festlichen Prozession, die die ersten Früchte als Opfer in den Tempel nach Jerusalem bringen sollte, gesungen worden. Neben dem schon oben erwähnten (noch heute üblichen) täglichen Beten des Psalms 150 im Morgengottesdienst, wird dieser am jüdischen Neujahrsfest (Rosch Haschana) ein zweites Mal im Kontext des Schofarblasens zitiert, wohl wegen der Erwähnung des Schofars (in der hier verwendeten Übersetzung »Posaune«, s. o.).

Interessant für die Rabbiner ist die Zahl der Variationen an sich, also der zehnfache Lobpreis Zeile 1–10. Die Zahl 10 steht in der rabbinischen Tradition für das Vollkommene, abgeleitet aus dem Buchstaben »Jud«, dessen Zahlenwert zehn ist, der an Jehuda bzw. die »Jehudim« also die Juden erinnern könnte: das Gebetsquorum für den öffentlichen jüdischen Gottesdienst, die 10 Gebote oder – weniger bekannt – die 10 Ansagen Gottes für die Schöpfung. Der Babylonische Talmud bezieht in die Reihe der vollständigen Zehnerreihen ausdrücklich die Lobpreisungen im Psalm 150 ein.

Vor christlichem Hintergrund

»Gott loben, das ist unser Amt« dichtet David Denecke in der 5. Strophe seines Kirchenliedes »Nun jauchzt dem Herren alle Welt« (EG 288). Das gilt nicht nur für Kantorinnen und Kirchenmusiker, Pfarrerinnen und Rabbiner. Die ganze Bibel zielt im Letzten auf das Lob Gottes, zu dem der Glaube durch alle Anfechtung, Zweifel, Resignation und Verzweiflung hindurch schließlich führen soll.

Der 150. Psalm bietet als Schlussrahmen des biblischen Psalmenbuches »eine kleine Theologie des Psalters«³ : Die Psalmen preisen Gott als universalen Weltenkönig, freuen sich über Gottes Nähe, selbst im Leiden, und über die Welt als seine Schöpfung (Vers 1). Sie preisen seine rettenden Taten und üben in den endzeitlichen Lobgesang ein, wenn Gott in seiner großen Herrlichkeit offenbar wird (Vers 2). Im Lob Gottes erfährt sich jeder Atem (jeder Mensch, jede Kreatur) als Geschöpf Gottes (Vers 6). Hierin schließt sich inhaltlich der Bogen zu Psalm 1, wird das Glück, der Weg der Gerechtigkeit, vollendet.

In der Offenbarung des Johannes vereinen sich am Ende der Zeit die irdischen mit den himmlischen Chören zum Lobpreis Gottes: »Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles was darin ist, hörte ich sagen: ›Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit.‹«(Off 5,13). Abgesehen von der christologischen Erweiterung (das Lamm Gottes) ist die Beschreibung der Lobenden eine Ausformung von »alles, was Odem hat«. Ich verstehe die Beschreibung so, dass nicht nur Menschen, sondern alle Geschöpfe Gottes ihn preisen können.

Der 150. Psalm ist in der Musik oft vertont worden und z. B. von Anton Bruckner und von Igor Stravinski im dritten Satz sei¬ner Psalmensymphonie zur Grundlage einer Komposition gewor¬den.

Persönlich gesehen

Sehe ich die Fotografien von den großen Massenveranstaltungen in der NS-Zeit, wo Hunderte, ja Tausende auf Kommando ihre Hand zum Führergruß emporstreckten oder wie aus einer Kehle »Heil« riefen, habe ich immer das Kontrastbild dazu vor meinen Augen: die überfüllte Schtetl-Synagoge eines charismatischen chassidischen Rabbiners, wo im wilden Neben- und Durcheinander der einzelnen betenden Individuen selbst ein Amen nicht zu einem Unisono wird, sondern jeder seine Stimme behält. Dann fällt mir Psalm 150 ein, wo jede (musikalische) Stimme ihr eigenes Halleluja formuliert und gerade einmal im Schlusswort alles zusammenfindet. Psalm 150 ist ein Abbild und Vorbild für die Individualität jeder einzelnen Stimme und jedes einzelnen Beters, ohne dass sie in eine chaotische Anarchie auseinanderfallen, denn schließlich kommt doch »alles was Odem« hat zusammen und lobpreist IHN mit dem Halleluja. Louis Lewandowski hat dies in seiner Komposition für den synagogalen Gebrauch des Psalm 150 wunderbar vertont.

Jede und jeder kann Gott so auf ihre oder seine Art preisen, mit dem, was Gott uns an Worten, Liedern, Begabungen und Charis¬men geschenkt hat. Das ist das Ziel jedes Gebetes: dass unsere Erfahrungen, die großen und die kleinen, die traurigen und die schönen, zuletzt zusammenfließen im Lobpreis unseres Lebens.

1 Max A. Klausner: Der Psalter. Mit Buchschmuck von Klausner, Judith. Berlin 2. Aufl. 1904.

2 Die folgenden Hintergrundinformationen stammen aus: Andreas Nachama/Marion Gardei, Du bist mein Gott, den ich suche. Psalmen lesen im jüdisch-christlichen Dialog, Gütersloh 2012, S.154-156. In diesem Buch gibt es noch weitergehende Informationen.

3 Frank-Lothar Hossfeld/Erich Zenger, Psalmen 101-150, Freiburg 2008, S. 885.

Überblick

Zielgruppe: Kitagruppe oder Erwachsenen-Chor

Alternative Zielgruppen: Gemeindegruppen jeden Alters

Einsatzgebiet: biblischer Unterricht in Kita- oder Kindergruppe, Konfirmandenunterricht, Kinderbibeltag Bibelstunde, (Kinder-)Gottesdienst

Zeitumfang: je nach Anspruch 45 Min. – 3 Std. (s. u.)

Material: Bögen mit Psalmtext; Orffsche oder andere (auch selbst gebastelte) Instrumente

Die Autoren

Marion Gardei ist Pfarrerin und Beauftragte für Erinnerungskultur der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Berlin.
(Stand: 2016)

Prof. Dr. Andreas Nachama ist Rabbiner und Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Berlin.
(Stand: 2016)