Unser Vater

Unser Vater

Beim Beten Gemeinsamkeiten entdecken

Von Martin Römer

Beten ist für Juden wie Christen ein Lebenszeichen des Glaubens. Man kann es allein und gut in Gemeinschaft tun. Dabei helfen Vorlagen, die variiert werden können. Wie das Vaterunser.

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Foto: Bilddatenbank der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers

Worum geht es in dieser Einheit?

Kennzeichen jüdischen wie christlichen Betens war und ist das Gebet in Gemeinschaft und der Gebrauch von Gebetsvorlagen wie z. B. die Psalmen. Diese wurden und werden durchaus nach Bedarf angepasst.

Die Teilnehmenden tauschen sich über ihre Erfahrungen mit dem Beten des Vaterunsers aus.

Die jüdischen Parallelen bzw. Wurzeln des Vaterunsers werden erarbeitet. Möglichkeiten, das Gebet zu variieren, werden ausprobiert. Der Aspekt des gemeinsamen Betens steht dabei im Vordergrund.

Ein kurzer Überblick

Dauer Inhalt Was wird gebraucht? Wer macht's?
  Vorbereitung und Raumgestaltung Fingerfood, Getränke, Namensschilder  
2 Min. Begrüßung    
8 Min. Liturgisches Ankommen Musik, Kerze, Bibel  
8 Min. Kennenlernen in zwei Runden Gegenstände oder Worte zum Vaterunser  
5 Min. Impuls: Jesus, ein Jude, lehrt uns beten    
30-45 Min. Gruppenaufgabe Kopien vom Materialblatt für alle Teilnehmenden  
20 Min. Impuls und Austauch    
7 Min. Liturgischer Abschluss mit Segen Ritual  

Gesamtzeit: 80-95 Minuten, gegebenenfalls plus 15 Minuten Pause.

Vorbereitung

Zur Vorbereitung für diejenige Person, die diese Einheit durchführt, ist sehr gut geeignet die Arbeitshilfe des Frauenwerks der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers zum Frauensonntag 2013 „Geheiligt werde dein Name“ (siehe Literatur am rechten Rand). Insbesondere darin die Exegese von Pastorin Anne Rieck auf Seite 5.

Hilfreich ist auch Hubert Frankemölle. Vater unser – Awinu. Das Gebet der Juden und Christen, Paderborn 2012.


Begrüßung und Liturgisches Ankommen (10 min)

Zur Einstimmung ist schon beim Ankommen der Gäste Musik zu hören (vielleicht aus dem jüdischen Kontext). Nach einer kurzen Begrüßung beginnt das Treffen mit einem ausgewählten Musikstück zum Zuhören. Jemand zündet mit Bedacht und in aller Ruhe Kerzen an einem Leuchter an. Eine andere Person trägt eine Bibel herbei, legt sie sorgsam dazu und schlägt die Bibelstelle Lukas 11,1-4 auf. Blumen werden liebevoll daneben gestellt.

Ein kurzes Gebet konzentriert:
„Gepriesen seist du, ewiger Gott, unser Vater im Himmel.
Du bist in unserer Mitte. Segne unser Zusammensein. Lehre uns, angemessen mit Dir und untereinander zu reden. AMEN“

Ein Lied hilft aufeinander zu hören.
Zum Beispiel „Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen“ (EG 272) oder „Erschein, du Heilger Geist“ (Lebensweisen 2), „Wenn dein Kind dich morgen fragt“ (Lebensweisen 16, 27 oder 28).

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Foto: Bilddatenbank der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers

Kennenlernen und Annäherung ans Thema in zwei Runden (8 min)

Erste Runde (ca. 4 min):
Bitte tauschen Sie sich zu zweit aus über die Frage:
Wo und wann haben Sie erlebt, dass das Vaterunser gebetet wird? Was ist Ihnen dabei aufgefallen?

Variante a)
Zu jedem Kernwort des Vaterunsers sind Gegenstände auf einem Tisch bzw. daneben gruppiert (z.B. „unser“ – „Freundschaftsband“ / „Vater und Mutter“ – „Kinderwagen“ / „Name“ – „Buch mit Namen“ / „Heilig“ – „…“).
Die Teilnehmenden werden gebeten, sich einen Gegenstand auszuwählen und sich damit in der Gruppe vorzustellen: „Mein Name ist … dieser Gegenstand hat mich angesprochen, weil …“

Variante b)
Kernworte des Vaterunsers liegen im Raum verteilt. Die Teilnehmenden ordnen sich einem Wort zu, das sie in diesem Moment spontan anspricht. Mit denen, die dort oder in der Nähe stehen, tauscht man sich darüber aus, warum man dieses Wort gewählt hat und lernt sich dabei kennen.

Variante c) für einen Hauskreis:
Schon bei der Einladung zum Treffen über dieses Thema werden die Teilnehmenden gebeten, einen Gegenstand mitzubringen, den sie mit dem Vaterunser verbinden. Beim Treffen tauschen sie sich darüber aus.

Zweite Runde: Zweiergespräche (ca. 4 min).
Sind Ihnen schon einmal jüdische Gebete oder betende Jüdinnen und Juden begegnet? Was ist Ihnen aufgefallen?

Impuls: Jesus, ein Jude, lehrt uns beten (5 min)

Als Christinnen und Christen haben wir vieles mit unseren jüdischen Geschwistern gemeinsam. In unserem heutigen christlichen Gottesdienst finden sich viele Elemente des synagogalen Gottesdienstes: Wir lesen in der hebräischen Bibel und beten die Psalmen sowie andere Gebete. Wir legen die Schrift aus und singen. Jede Feier an Gründonnerstag erinnert an das Passahfest und jedes Abendmahl an den jüdischen Ritus des Segnens und Teilens von Brot und Wein. Viele Bräuche und Sitten, die so selbstverständlich christlich scheinen, entstammen also jüdischem Brauchtum.

Unser Beten hat jüdische Wurzeln. Der Kontext des Vaterunsers ist ein jüdischer, und auch die Anreden und Bitten des Vaterunsers entsprechen inhaltlich jüdischen Gebeten. Eigentlich kein Wunder, schließlich war Jesus ein Jude. Und als Jude hatte Jesus gelernt, regelmäßig drei Mal am Tag zu beten, abends und morgens und in der Mitte des Tages. Auch laut zu beten war durchaus üblich.

Die Menschen, denen er begegnete und mit denen er im Land umherzog, waren größtenteils jüdischer Herkunft und mit den Gebetsritualen vertraut. Das gilt natürlich auch für die Frauen – denken sie an den Lobgesang seiner Mutter Maria (Lk 1,46-55 vgl. Hanna 1 Sam 2,1 -10).

Als die Menschen, die Jesus nachfolgten, merkten, wie wichtig ihm das Gespräch mit Gott war, baten sie ihn, ihnen das Beten beizubringen.

Lukas 11,1-4 (Neue Genfer Übersetzung) wird vorgelesen:

Jesus hatte unterwegs Halt gemacht und gebetet. Darauf bat ihn einer seiner Jünger: »Herr, lehre uns beten; auch Johannes hat seine Jünger beten gelehrt.« Jesus sagte zu ihnen: »Wenn ihr betet, dann sprecht:
Vater, dein Name werde geheiligt.
Dein Reich komme.
Gib uns jeden Tag, was wir zum Leben brauchen.
Und vergib uns unsere Sünden;
auch wir vergeben jedem, der an uns schuldig geworden ist.
Und lass uns nicht in Versuchung geraten.«

Es fällt natürlich gleich auf, dass diese Version beim Evangelisten Lukas anders klingt als das Gebet, das wir gewohnt sind im Gottesdienst zu sprechen.

  • Welche Bitten fehlen? Können Sie diese ergänzen?
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Foto: Bilddatenbank der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers

Gruppenaufgabe (30-45 min)

Bitte vergleichen Sie in einem ersten Schritt die ältesten Belege für das Vaterunser beim Evangelisten Matthäus, Lukas und in der Didache, einer syrischen Kirchenordnung (entstanden ca. 100 n. Chr.) (siehe Materialblatt).

  • Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten fallen auf?

Im zweiten Schritt finden Sie auf dem Materialblatt Auszüge aus jüdischen Gebeten, dem Kaddisch und dem Achtzehn-Bitten-Gebet¹ neben dem uns geläufigen Vaterunser-Gebet.

  • Was überrascht Sie bei dieser Nebeneinanderstellung?
  • Welche neuen Akzente entdecken Sie durch diesen Vergleich bei den jeweils einzelnen Bitten des Vaterunsers?

(Im folgenden Gespräch sollen weniger die Unterschiede, sondern eher die Gemeinsamkeiten hervorgehoben werden.)

Vertiefung (optional)

Die Gruppe überlegt gemeinsam, mit welchen Orten die einzelnen Bitten des Vaterunsers verknüpft werden könnten. Das kann sowohl in einer Wohnung als auch im Gemeindehaus oder in der Kirche ganz konkret umgesetzt werden: „Brot“ am Brotkasten oder am Altar. „Versuchung“ – Fernseher oder Westportal, der „Ort der Kirche, der traditionell mit dem Bösen bzw. der Gottferne verbunden wird“.²

  • Welche Plätze im Dorf oder in der Stadt könnte man mit den einzelnen Bitten in Beziehung setzen?

Wenn Zeit dafür ist, lohnt es sich bestimmt, gemeinsam diese Orte aufzusuchen und dabei das Vaterunser so betend zu erschließen.

Impuls: Beten in Gemeinschaft (5 min)

Jedes Mal, wenn wir das „Unser Vater“ beten, erinnert das erste Wort „Unser“ – ein Plural! – daran, dass dieses Gebet eine Gemeinschaft initiiert und setzt. Dies stammt aus der jüdischen Tradition. „Vorgeschrieben für das Beten ist bis heute in traditionellen und orthodoxen Gemeinden die Anwesenheit von zehn Männern = minjan; da diese Zahl im Talmud im Unterschied zum mittelalterlichen Religionsgesetz nicht vorgeschrieben ist, werden in liberalen und progressiven jüdischen Gemeinden heute auch Frauen mitgezählt.“³

„Solche institutionellen und öffentlichen Gebete stiften und stärken religiöse Gemeinschaften; sie sind nicht nur – auch in der Antike – als Gebete an Gott gerichtet, sondern dienen ebenso der zwischenmenschlichen Kommunikation […] und der Identität der jeweiligen Glaubensgemeinschaft.“4 Um diese Gebete gemeinsam sprechen zu können, ist es zentral, dass der Wortlaut überall nahezu unverändert ist. Veränderungen werden – wenn überhaupt – behutsam über Generationen hinweg vorgenommen.

Dennoch gibt es ja bereits in den Evangelien unterschiedliche Überlieferungen des Vaterunsers und auch bei den jüdischen Gebeten einen Variantenreichtum. Dies zeigt, dass es von Anfang an nicht um ein „stures Nachsprechen“ unveränderbarer Gebete geht. Vielmehr können die Gebete je nach den Anliegen einer einzelnen Person oder einer Gruppe variiert werden. Gute Gebetserfahrungen gibt es damit, einzelne Bitten des Vaterunsers zu entfalten und z. B. zu überlegen, was alles zu dem „täglichen Brot“ dazugehört: nämlich alles Lebensnotwendige wie Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf …

Austausch: Erfahrungen mit Beten in Gemeinschaft (15 min)

Die Teilnehmenden tauschen sich in kleinen Gruppen über ihre Erfahrungen mit dem Gebet als Einzelne und in Gemeinschaft aus. Der Austausch über das Erleben beim Beten an dieser Stelle ist deshalb wichtig, weil in der Regel kaum oder gar nicht über solche Erfahrungen gesprochen wird.

Folgende Fragen können das Gespräch steuern:

  • Wie erleben Sie das Vaterunser, wenn es in einer Gemeinschaft gesprochen wird?
    Wie könnte man die positiven Erfahrungen dabei verstärken?
    Wie die negativen verändern?
  • Wenn das gemeinsame Beten des Vaterunsers eine Gemeinschaft begründet, die nicht wir machen, sondern Gott schafft, was könnte das für die beim Beten entstandene Gemeinschaft konkret bedeuten?
  • Was könnte man über die Identität einer Gruppe aussagen, wenn sie gerade das Vaterunser gemeinsam betet?

Variante:

  • Tragen Sie bitte gemeinsam Gebetsanliegen Ihrer Kleingruppe zusammen – orientiert an den einzelnen Bitten des Vaterunsers?
    (Dabei kommt es nicht auf Vollständigkeit an!)

Liturgischer Abschluss (7 min)

Ein gemeinsames Lied sammelt für den Abschluss.
Aus dem Evangelischen Gesangbuch

  • „Wir wünschen Frieden euch allen / Hevenu schalom alejchem“ EG 433
  • „Der Friede des Herrn / Schalom chaverim“ (Kanon) EG 434
  • „Gehe ein in deinen Frieden“ EG 489

Nach einer Stille von mindestens einer, besser zwei Minuten wird gemeinsam – langsam und ganz bewusst – das Vaterunser gebetet.

  • Zwischen den einzelnen Bitten könnten die erarbeiteten Anliegen der Kleingruppen eingefügt/gebetet werden.

Alternativ könnte man zum Schluss das „Vaterunser“ zur Vertiefung singen (Lebensweisen 36 oder 37; EG 188).
Jemand vom Team spricht den Segen, schließt die Bibel und nimmt sie an sich. Die Kerze wird ausgeblasen. Ein Moment der Stille.

1 Frankemölle, 81: „Literarisch belegt sind beide Gebete erst nach dem Vaterunser, aber beide könnten in ihren ältesten mündlichen und schriftlichen Anfängen auf die vorchristliche Zeit zurückgehen und in aramäischer Gestalt schon zu Zeiten Jesu gebetet worden sein.“

2 Frauensonntag 2013, S. 38.

3 Frankemölle, S. 83.

4 Ebd., S. 86.

Übersicht

Zielgruppe: 
(Bibel-)Gesprächsgruppen, Hauskreise

Alternative Zielgruppen: Frauen- bzw. Männerkreise; junge Erwachsene; Gottesdienstgemeinde

Einsatzgebiet: Hauskreis-
treffen, Gesprächskreis, Gemeindeabend

Zeitumfang: ca. 90 Minuten

Material: Kopien des Materialblatts für alle,
Din-A-4-Zettel und Stifte

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Foto: Bilddatenbank der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers

Der Autor

Martin Römer ist Pastor und Referent für Hauskreisarbeit und Kleingruppen und für Glaubenskurse im Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.
(Stand: 2016)

Literatur

  • Hubert Frankemölle: Vater unser – Awinu. Das Gebet der Juden und Christen, Paderborn 2012.
  • Arbeitshilfe des Frauenwerks der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers zum Frauensonntag 2019 „ich bin schön“,
    online verfügbar unter Materialien Frauenwerk.
  • Klaus Berger, Das Vater unser. Mit Herz und Verstand beten, Freiburg im Breisgau 2014.
  • Anselm Grün, Vaterunser, Münsterschwarzach 2009.
  • Jean Zumstein, Vater für uns. Das Gebet Jesu mitten in unserem Leben, Neukirchen-Vluyn 2002.
  • Vaterunser. Einübung ins Christentum. Hg. von Petra Bahr u.a. Frankfurt am Main 2008.
  • Marcel J.H.M. Poorthuis. Awinu – Das Vaterunser. Über die jüdischen Hintergründe des Vaterunsers. Erev-Rav-Hefte. Israelitisch denken lernen Nr. 9. Uelzen 2013.